Laufen und Laufverletzungen – RED-S

Laufen und Laufverletzungen

Teil 2 unserer Serie Laufen und Laufverletzungen

RED-S: Das unsichtbare Risiko für Sportlerinnen und Sportler – Erkennen, Verstehen und Behandeln

Die Begeisterung für den Sport treibt viele Athletinnen und Athleten dazu, immer mehr zu trainieren, sei es für Spitzenleistungen oder zur Verbesserung der eigenen Fitness. Doch was passiert, wenn die Energieaufnahme nicht mit dem Energieverbrauch Schritt hält? Das Ergebnis könnte Relative Energy Deficiency in Sport (RED-S) sein.

Was ist RED-S? Eine Definition

RED-S, die Abkürzung für Relative Energy Deficiency in Sport, beschreibt ein Syndrom, das sowohl weibliche als auch männliche Sportler betreffen kann. Laut der Konsensdefinition des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) von 2023 entsteht es, wenn die Energiezufuhr des Körpers nicht ausreicht, um die lebenswichtigen Funktionen sowie die sportliche Belastung gleichzeitig zu unterstützen. Dieser Zustand, auch als niedrige Energieverfügbarkeit (LEA)bezeichnet, wirkt sich auf nahezu alle Körpersysteme negativ aus und birgt sowohl gesundheitliche als auch leistungstechnische Risiken【1】.

Wie entsteht ein Energiedefizit?

Ein Energiedefizit kann aus verschiedenen Ursachen resultieren, doch häufig handelt es sich um eine Kombination mehrerer Faktoren. Oft nehmen Athletinnen und Athleten schlichtweg zu wenig Nahrung zu sich – sei es durch ausgelassene Mahlzeiten, eine schlechte Ernährungsplanung oder unbewusste Unachtsamkeit. Manchmal geschieht dies jedoch auch bewusst: Der Wunsch nach einem idealisierten Körperbild oder der Versuch, bestimmte sportliche Ziele zu erreichen, führt dazu, dass bewusst weniger gegessen wird, als der Körper eigentlich benötigt【2,6】.

Doch auch die Anforderungen intensiver Trainingseinheiten tragen ihren Teil bei. Ein gesteigertes Trainingsvolumen erhöht den Energieverbrauch erheblich. Wenn die Ernährung nicht entsprechend angepasst wird, kann der Körper die entstehende Energielücke nicht schließen. Diese unzureichende Versorgung bringt ihn langfristig in einen Zustand der Überforderung【4】.

Das Ergebnis? Der Körper schaltet auf „Sparmodus“ und versucht, Energie einzusparen, wo immer es geht. Diese Anpassung kann schwerwiegende Folgen haben – sowohl für die Gesundheit als auch für die sportliche Leistung.

Typische Folgen von RED-S

RED-S hinterlässt Spuren im gesamten Körper und wirkt sich sowohl auf die physische als auch auf die psychische Gesundheit aus. Der Körper reagiert auf den Energiemangel mit einer Anpassung des Stoffwechsels: Der Grundumsatz wird gesenkt, um Energie zu sparen. Dies bedeutet jedoch, dass grundlegende Körperfunktionen nicht mehr optimal ausgeführt werden können – ein Zustand, der langfristig die Gesundheit stark beeinträchtigt.

Ein besonders sensibles System ist das Hormonsystem. Frauen erleben häufig das Ausbleiben der Menstruation (Amenorrhoe), während bei Männern ein niedriger Testosteronspiegel diagnostiziert werden kann. Beide Zustände beeinträchtigen nicht nur die sportliche Leistungsfähigkeit, sondern auch die allgemeine Regeneration und das Wohlbefinden【1, 2】.

Auch die Knochengesundheit leidet unter RED-S. Der Körper ist nicht in der Lage, ausreichend Ressourcen für die Stabilität und Regeneration der Knochen bereitzustellen. Dies führt zu einer verringerten Knochendichte, die das Risiko für schmerzhafte und langwierige Stressfrakturen deutlich erhöht【2, 4】. Gleichzeitig wird das Immunsystem geschwächt: Wer dauerhaft unter einem Energiedefizit leidet, ist anfälliger für Infektionen und Krankheiten【1】.

Selbst das Herz-Kreislauf-System bleibt nicht verschont. Erhöhte Cholesterinwerte und andere kardiovaskuläre Risikofaktoren können auftreten, was die langfristige Herzgesundheit gefährdet【3】.

Diese komplexen körperlichen Veränderungen zeigen, wie ernst die Folgen von RED-S sein können – ein Zustand, der oft unterschätzt wird und rechtzeitig erkannt werden sollte.

Die Auswirkungen auf die sportliche Leistung

RED-S hat nicht nur tiefgreifende Auswirkungen auf die Gesundheit, sondern beeinflusst auch die sportliche Leistungsfähigkeit erheblich. Der Energiemangel, der durch unzureichende Versorgung des Körpers entsteht, behindert viele der grundlegenden Prozesse, die für sportliche Erfolge entscheidend sind.

Ein häufig beobachtetes Problem ist die verminderte Ausdauer. Wenn die Energiespeicher des Körpers – insbesondere die Glykogenreserven – nicht ausreichend gefüllt sind, fehlt die Grundlage für länger andauernde oder intensive Belastungen. Dies macht sich besonders bei Ausdauersportarten bemerkbar, wo eine stabile Energieversorgung unerlässlich ist【1】. Gleichzeitig steigt das Verletzungsrisiko deutlich an. Die reduzierte Knochendichte, eine der zentralen Folgen von RED-S, erhöht die Wahrscheinlichkeit für Stressfrakturen. Diese Verletzungen treten oft schleichend auf und können bei anhaltender Belastung zu langwierigen Ausfallzeiten führen【4】. Darüber hinaus sind die Effekte des Trainings häufig geringer, als sie es bei einem gesunden Energiestatus wären. Der Körper ist schlichtweg nicht in der Lage, die Anpassungen vorzunehmen, die für den Leistungsaufbau nötig sind. Dies führt dazu, dass Fortschritte stagnieren oder ausbleiben – ein Zustand, der besonders für ambitionierte Sportlerinnen und Sportler frustrierend sein kann【1】.

Auch die Muskelkraft leidet unter dem Energiedefizit. Die allgemeine Schwäche, die viele Betroffene beschreiben, ist ein direktes Ergebnis der mangelnden Nährstoffversorgung. Ohne genügend Energie kann der Körper nicht nur keine Muskeln aufbauen, sondern ist auch weniger leistungsfähig bei Belastungen【1】.

Die Kombination dieser Faktoren macht deutlich, wie stark RED-S die sportliche Leistungsfähigkeit einschränken kann. Eine frühzeitige Intervention ist entscheidend, um nicht nur die Gesundheit, sondern auch die Erfolge im Sport zu schützen.

Psychologische Faktoren bei RED-S

Psychologische Aspekte spielen eine zentrale Rolle in der Entwicklung und Aufrechterhaltung von RED-S. Sie beeinflussen nicht nur das Verhalten der Betroffenen, sondern verstärken oft auch die körperlichen Auswirkungen des Energiedefizits. Drei Schlüsselfaktoren treten dabei besonders häufig auf.

Essstörungen und gestörtes Essverhalten

Ein gestörtes Verhältnis zur Ernährung ist eines der häufigsten psychologischen Merkmale, die mit RED-S einhergehen. Viele Athletinnen und Athleten entwickeln eine übermäßige Fixierung auf Kalorienzufuhr, Körpergewicht und Körperzusammensetzung. Der Wunsch, bestimmte sportliche oder ästhetische Ziele zu erreichen, führt in vielen Fällen zu bewussten Nahrungsrestriktionen. Diese Einschränkungen können zwar kurzfristig als „Disziplin“ wahrgenommen werden, verursachen jedoch langfristig ein dauerhaftes Energiedefizit und gefährden die Gesundheit【6】.

Unzureichende Ernährungsplanung

Nicht jede Energieunterversorgung ist beabsichtigt. Gerade in Phasen intensiven Trainings oder unter erhöhtem Leistungsdruck wird die Ernährung oft schlichtweg vernachlässigt. Das Fehlen eines strukturierten Ernährungsplans oder mangelndes Wissen über den tatsächlichen Energiebedarf des Körpers führen dazu, dass viele Sportlerinnen und Sportler unbewusst in ein Defizit rutschen. Dies zeigt, wie wichtig eine ganzheitliche Betreuung ist, die auch den Ernährungsaspekt einbezieht【2】.

Sportsucht als Verstärker

Sportsucht, also das zwanghafte Bedürfnis zu trainieren, kann RED-S zusätzlich verschärfen. Betroffene verspüren den Drang, selbst bei Krankheit oder Erschöpfung weiter zu trainieren. Diese Verhaltensweise führt nicht nur zu einem erhöhten Energieverbrauch, sondern erschwert auch die dringend notwendige Regeneration. Sportsucht wird oft durch ein starkes Bedürfnis nach Kontrolle über den Körper oder durch den Wunsch nach Bestätigung verstärkt. Obwohl sie nicht die Hauptursache für RED-S ist, trägt sie erheblich dazu bei, das Problem zu verstärken und den Weg zur Erholung zu blockieren【7, 8, 9】.

Diagnose und Screening: Früherkennung ist entscheidend

Eine der größten Herausforderungen bei RED-S ist die oft späte Diagnose. Viele Betroffene bemerken das Syndrom erst, wenn die gesundheitlichen Folgen bereits erheblich sind – sei es durch anhaltende Erschöpfung, hormonelle Störungen oder sogar Verletzungen wie Stressfrakturen. Dabei ist eine Früherkennung entscheidend, um langfristige Schäden zu vermeiden und die Leistung sowie Gesundheit der Sportlerinnen und Sportler zu schützen.

Screening-Tools: Prävention durch gezielte Fragen und Untersuchungen

Um ein Energiedefizit frühzeitig zu erkennen, empfiehlt das Internationale Olympische Komitee (IOC) den Einsatz spezifischer Fragebögen. Besonders effektiv sind:

LEAF-Q (Low Energy Availability in Females Questionnaire): Dieses Tool wurde speziell entwickelt, um Anzeichen eines niedrigen Energiehaushalts bei Frauen zu identifizieren.

LEAM-Q (Low Energy Availability in Males Questionnaire): Ein analoger Fragebogen, der auf die spezifischen Bedürfnisse männlicher Athleten zugeschnitten ist【5】.

Zusätzlich spielen medizinische Untersuchungen eine wichtige Rolle im Diagnoseprozess. Eine Überprüfung der Knochendichte kann frühzeitig auf Probleme hinweisen, bevor es zu ernsthaften Verletzungen wie Stressfrakturen kommt. Auch die Analyse von Hormonspiegeln, insbesondere von Östrogen bei Frauen und Testosteron bei Männern, liefert wertvolle Hinweise darauf, ob der Körper ausreichend mit Energie versorgt wird【5, 6】.

Behandlung und Prävention: Ein multidisziplinärer Ansatz

Die Behandlung von RED-S erfordert ein interdisziplinäres Team, aus der Sportmedizin, der Ernährungsberatung, der Psychologie und der Physiotherapie. Ziel ist es, das Gleichgewicht zwischen Energieaufnahme und Energieverbrauch wiederherzustellen und den betroffenen Sportlerinnen und Sportlern zu einem gesunden Umgang mit Training und Ernährung zu verhelfen【3, 6】.

Anpassung der Ernährung

Ein zentraler Schritt ist die Erhöhung der Energiezufuhr. Die Ernährung sollte ein ausgewogenes Verhältnis von Kohlenhydraten, Proteinen und Fetten enthalten, um die Grundbedürfnisse des Körpers zu decken und gleichzeitig die sportliche Belastung zu unterstützen. Dabei wird auch darauf geachtet, dass Mahlzeiten regelmäßig und in ausreichender Menge eingenommen werden. Eine professionelle Ernährungsberatung kann helfen, individuelle Bedürfnisse zu identifizieren und realistische Ziele zu setzen【2】.

Anpassung des Trainingsumfangs

Neben der Ernährung ist auch die Reduktion von Trainingsintensität und -umfang essenziell. Durch gezielte Anpassungen wird dem Körper die nötige Zeit zur Regeneration gegeben, um die gesundheitlichen Schäden eines Energiedefizits zu beheben. Trainer und Physiotherapeuten können dabei helfen, einen ausgewogenen Trainingsplan zu entwickeln, der die Erholung fördert, ohne das Ziel des Athleten aus den Augen zu verlieren【6】.

Psychologische Unterstützung

Da RED-S oft mit psychologischen Faktoren wie gestörtem Essverhalten oder zwanghaftem Training verbunden ist, ist eine psychologische Betreuung unverzichtbar. Mit Hilfe von kognitiver Verhaltenstherapie (CBT) können Betroffene lernen, ungesunde Denkmuster zu erkennen und zu verändern. Ein besonderer Fokus liegt darauf, ein gesundes Verhältnis zu Ernährung, Körperbild und Training zu entwickeln. Ergänzend dazu hilft die psychologische Betreuung auch bei der Bewältigung von Leistungsdruck und dem Aufbau alternativer Bewältigungsstrategien【7, 9】.

Die Rolle der Physiotherapie bei RED-S

Die Physiotherapie nimmt eine zentrale Position in der Behandlung und Prävention von RED-S ein. Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten begleiten die Betroffenen auf dem Weg zurück zu einer gesunden körperlichen Belastbarkeit und spielen eine entscheidende Rolle, um zukünftige Verletzungen und Rückfälle zu vermeiden【6】.

Wichtige physiotherapeutische Maßnahmen

Ein grundlegender Bestandteil der physiotherapeutischen Betreuung ist die Aufklärung. Dabei wird den Betroffenen vermittelt, wie sich Übertraining und ein unzureichender Energiehaushalt negativ auf den Körper auswirken können. Diese Wissensvermittlung schafft die Grundlage, um zukünftige Energiedefizite zu vermeiden und eine nachhaltige Balance zwischen Training und Regeneration zu erreichen【1, 5】.

Durch gezielte Übungen wird die Knochendichte gestärkt und Muskelschwäche reduziert. Dies hilft, die Belastbarkeit des Körpers zu steigern und das Risiko für Verletzungen wie Stressfrakturen zu verringern. Stabilisationsübungen sind besonders wichtig, um die Biomechanik des Körpers zu verbessern und Fehlbelastungen zu minimieren – ein entscheidender Faktor in der Rehabilitation【4】.

Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten unterstützen Betroffene bei der kontrollierten Rückkehr ins Training. Mit gezieltem Belastungsmonitoring wird sichergestellt, dass der Körper nicht überfordert wird und sich schrittweise an steigende Anforderungen anpassen kann. Individuelle Trainingspläne und regelmäßige Überprüfungen ermöglichen eine sichere und effektive Regeneration【6】.

Fazit: Bewusstsein schaffen, Risiken minimieren

RED-S ist ein ernstzunehmendes Syndrom, das sowohl die Gesundheit als auch die Leistungsfähigkeit von Sportlerinnen und Sportlern erheblich beeinträchtigen kann. Häufig entsteht ein Energiedefizit nicht nur durch bewusstes Kaloriensparen, sondern auch durch unzureichende Ernährungsplanung oder die steigenden Anforderungen intensiver Trainingsphasen. Psychologische Faktoren wie Essstörungen und ein zwanghaftes Verhältnis zum Sport, einschließlich Sportsucht, können das Problem weiter verschärfen.

Ein ganzheitlicher Ansatz mit Früherkennung, einer gezielten Anpassung der Ernährung und des Trainings sowie professioneller Unterstützung – insbesondere durch Physiotherapie – ist entscheidend, um die Folgen von RED-S zu minimieren und eine nachhaltige Leistungsfähigkeit zu gewährleisten.

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Quellen
  1. Mountjoy M. et al. 2023 International Olympic Committee’s (IOC) Consensus Statement on Relative Energy Deficiency in Sport (REDs). Br. J. Sports Med. 2023;57:1073–1098.
  2. Melin A.K. et al. Energy availability in athletics: health, performance, and physique. Int. J. Sport Nutr. Exerc. Metab. 2019;29:152–164.
  3. Burke L.M. et al. Mapping the complexities of Relative Energy Deficiency in Sport (REDs): development of a physiological model. Br. J. Sports Med. 2023;57:1098–1110.
  4. Heikura I.A. et al. Low Energy Availability Is Difficult to Assess but Outcomes Have Large Impact on Bone Injury Rates in Elite Distance Athletes. Int. J. Sport Nutr. Exerc. Metab. 2018;28:403–411.
  5. Foley Davelaar C.M. et al. Validation of an Age-Appropriate Screening Tool for Female Athlete Triad and Relative Energy Deficiency in Sport in Young Athletes. Cureus. 2020.
  6. Stellingwerff T. et al. Overtraining syndrome (OTS) and relative energy deficiency in sport (RED-S): shared pathways, symptoms and complexities. Sports Med. 2021;51:2251–2280.
  7. Szabo A, Griffiths MD, de La Vega R. Exercise addiction in sport: a critical review of current knowledge and future directions. Sports Med. 2015;45(7):845–859.
  8. Blaydon MJ, Lindner KJ. Exercise dependence in competitive triathletes: Mode-specificity and gender differences. Br J Sports Med. 2002;36:200–204.
  9. Lichtenstein MB, Jensen TT. Exercise addiction in CrossFit: Prevalence and psychometric properties of the Exercise Addiction Inventory. Addict Behav Re

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